Meyer, Hans-Werner:Durchs wilde Kindistan - Zwischen Windeln und Wahnsinn
- neues Buch 2010, ISBN: 3641036496
Verlag: Südwest, »Nach dem Ersten Weltkrieg waren keine Väter da, weil sie im Krieg geblieben waren, nach dem Zweiten Weltkrieg waren keine Väter da, weil sie im Krieg geblieben waren, na… Mehr…
Verlag: Südwest, »Nach dem Ersten Weltkrieg waren keine Väter da, weil sie im Krieg geblieben waren, nach dem Zweiten Weltkrieg waren keine Väter da, weil sie im Krieg geblieben waren, nach '68 waren keine Väter da, weil sie sich im Kampf mit diesen abwesenden Vätern aufgerieben haben. Ihr seid die erste Generation, die die Möglichkeit hat, ihre Kinder mit anwesenden Vätern zu erziehen.« So hat es mein kürzlich verstorbener Vater, der noch während des Ersten Weltkriegs geboren wurde, formuliert. Ich gehöre dieser glücklichen Generation an. Erste politische Schritte sind mit der Verlängerung des Elterngeldes für Väter gemacht, und die gesellschaftliche Akzeptanz ist zu spüren, wenn auch noch zart, so wie der kommende Sommer im Frühling zu ahnen ist. Als wir unser erstes Kind bekamen, kaufte meine Frau ungefähr ein Dutzend Ratgeber mit Titeln wie Wie beruhige ich mein Baby, Das Stillbuch, Jedes Kind kann schlafen lernen etc. Da ich, auch ohne ihre panzerglasklare Ansage, dass wir die Sache entweder gemeinsam durchziehen oder gar nicht, entschlossen war, mir von Anfang an von dem Kind nichts entgehen zu lassen, stürzte ich mich in die Lektüre. Aber schon nach den ersten Seiten musste ich feststellen: Diese Ratgeber sind nicht für mich geschrieben. Sie verweisen mich geradezu unfreundlich des Raums. Ich fühlte mich in die dunkelsten Zeiten eines militanten Feminismus zurückversetzt, in denen man sich als Mann grundsätzlich irgendwie schuldig und fehl am Platz vorkam. Das Wort »Vater« oder »Papa« existiert nicht in diesem Kosmos. Es ist so abwesend wie die realen Väter der vorangegangenen Generationen. In diesem Kosmos müssen offenbar ausschließlich Frauen die Bedürfnisse des Kindes verstehen. Andererseits spielen hier auch nur die Bedürfnisse der Mütter, ihre Ängste und Nöte eine Rolle. Von den Männern wird höchstens verlangt, dass sie am Ende eines anstrengenden Arbeitstages Verständnis für eine schwer genervte Partnerin aufbringen, die ihnen kommentarlos das schreiende Kind in den Arm legt. Wenn ich mich umsehe in meiner Realität, sind es inzwischen allerdings immer häufiger die Männer, die am Ende eines anstrengenden Tages auf dem Spielplatz oder in der Krabbelgruppe schwer genervt den Balg in die Arme ihrer Partnerin legen, die abends von ihrer Karriereleiter heruntersteigt, um die Familie zu beehren. Die erwähnten Ratgeber sind natürlich trotzdem nützlich. Ich habe sie auch alle gelesen. Ehrenwort. Na ja, zumindest einige. Gut, ich gebe zu, ich habe sie bestenfalls überflogen und mich dabei auf die harten Fakten konzentriert, beispielsweise auf die Tabelle, wie lange ein Baby in welchem Alter ungefähr schlafen sollte, um endlich so etwas wie Struktur in den Tag zu bringen. Aber ich wurde dabei nie das Gefühl los, dass ich mich auf verbotenem Gelände bewege. Väter, die konsequent und von Anfang an Verantwortung für ihre Kinder übernehmen, Zeit mit ihnen verbringen wollen und dafür sogar bereit sind, auf den einen oder anderen Karriereschritt zu verzichten, werden immer noch belächelt. Gleichzeitig werden sie auch heimlich bewundert. Sie selbst fühlen sich dabei wie Pioniere, die sich ohne Landkarte in einem fremden Land bewegen. Dieses Gefühl trifft den Kern. Sie sind Pioniere. Das Land, in dem sie sich bewegen, steckt voller Gefahren, aber auch voller Schönheit. Es ist eine weitgehend unentdeckte Wildnis. Zumindest für den frischgebackenen Papa. Aus den vorangegangenen Generationen war fast keiner dort. Es gibt kaum Wegweiser, und die Pfade sind noch nicht ausgetreten. Man kann sich leicht verirren. Deshalb brauchen die Männer einen Wegweiser, was Konkretes, was Handfestes, nicht so einen windelweichen Mama-Baby-Wohlfühl-Kram. Am besten, dachte ich mir, ist eine Landkarte mit Reiseführer. Landkarten sind eine der letzten männlichen Domänen. Männer lieben Landkarten, sie brauchen klar nachvollziehbare Marschrouten, Survival-Kits, einen Kompass, eine Wegbeschreibung, um sich in der Wildnis zurechtzufinden, um sie zu kultivieren, und einen Reiseführer, der ihnen sagt, was es in dem neuen Land alles zu entdecken gibt. Der Vergleich mag pathetisch klingen, aber er entspringt folgendem Gedanken: Die Frage ist doch nicht nur, was Kinder brauchen, sondern auch, was Kinder und ihre Eltern brauchen, um leben zu können. Die Entscheidung, ein Kind in die Welt zu setzen, ist nach wie vor mit großen Ängsten verbunden, die geschürt werden durch den Gedanken an eine irgendwie als gottgegeben hingenommene Rollenverteilung und die befürchtete Festlegung der weiteren Biografie, die ich der Klarheit halber »Verspießung« nennen möchte. Die Kleinfamilie als Quelle von Enge und Frust sitzt nach wie vor als Schreckgespenst im kollektiven Gedächtnis meiner Generation. Die viel beschworene Großfamilie dagegen mag in der idealisierten Sehnsuchtsversion zwar so nie existiert haben, aber die Erfahrung mit meinen beiden Kindern - es sind nämlich inzwischen zwei - zeigt mir, dass es Kindern in dem Maße besser geht, in dem viele Menschen um sie herumwirbeln, die sich mit ihnen beschäftigen oder einfach nur da sind. Und wenn die Kinder zufrieden sind, dann - wie soll ich sagen - nerven sie auch weniger, sodass Mama und Papa nicht zu ihren vollständigen Handlangern werden. Die Großfamilienstruktur, das ebenfalls viel beschworene »Dorf«, das nötig ist, um ein Kind zu erziehen, diese Struktur kann uns helfen, die Notwendigkeiten der Kindererziehung nicht nur einfach abzuhaken, sondern sie zu genießen und dabei auch selbst weiter zu wachsen - und zu leben. Aber da wir nicht mehr in dörflichen Zusammenhängen leben, müssen wir sie neu erfinden. Und zu einer zeitgemäßen »Großfamilie« gehört ganz zweifellos ein anwesender und aktiver Vater. Dieses Buch richtet sich an jene Männer, die sich schon heimlich aufgemacht haben in das aufregende, fremde Land der Vaterschaft, sei es physisch oder nur in Gedanken, und an ihre Partnerinnen, die sich einen Vaterhelden an ihrer Seite wünschen und nicht wissen, wie sie ihren Kerl dahin lenken sollen. Frauen mögen sich fragen, ob so ein Reiseführer überhaupt nötig ist, warum ein Mann, bloß, weil er mal nicht seinem eingebauten Fluchtinstinkt gehorcht und mit Ausreden bewaffnet Reißaus genommen hat, gleich ein Buch darüber schreiben muss. Schließlich reisen Frauen seit Jahrtausenden mit der größten Selbstverständlichkeit durch dieses Land, das aus ihrer Sicht wenig mit Abenteuern, dafür aber viel mit Wiederholungen und Normalität zu tun hat. EPUB, [GR: 9484 - Nonbooks, PBS / Ratgeber/Lebenshilfe, Alltag/Familie], [SW: - Ratgeber: Familie und Partnerschaft][PU:Südwest]<